16 FLORIAN HESSEN 8 | 2015
NACHFRAGT
Feuerwehr sollte bunter werden
Ein leidenschaftlicher Feuerwehrmann mit türkischen Wurzeln
Ich bin von Natur aus ein Mensch, der
jedem, der Hilfe benötigt, ohne Gegenleis-
tung hilft. So beschreibt sich Engin Calis-
kan und das ist auch eine seiner Hauptmo-
tivationen, bei der Freiwilligen Feuerwehr
mitzumachen. Mit 13wurde er vom Jugend-
wart angesprochen, ob er nicht in der
Jugendfeuerwehr mitmachen wolle. „Ich
musste erst mal aufgeklärt werden, dass
auch ich als Junge mit Migrationshinter-
grund mitmachen kann. Und so bin ich ein-
getreten und wurde auch gut aufgenom-
men“, sagt Caliskan. Auf dem Dorf war die
Feuerwehr attraktiv, es gab nur ein Einge-
wöhnungsproblem: Die Deutschen lieben
Schweinefleisch, das er jedoch nicht isst.
Diese „Extrawurst“ hat die Feuerwehr aber
gerne für ihn gebraten.
Seine Eltern und Freunde waren anfangs
erstaunt, dass ein türkischer Junge zur
Feuerwehr geht und sich dort offenbar sehr
wohl fühlt. Und dabei ist es geblieben.
Engin Caliskan hilft nicht nur gerne, er will
auch ein bisschen Vorbild und Vorreiter
sein. „Ichwill zeigen, dass auchMigranten
in einer Organisation wie der Feuerwehr, in
der doch fast alle Deutsche sind, aktiv mit-
machen und genauso helfen können". Fas-
zinierend an der Freiwilligen Feuerwehr
findet Caliskan den Zusammenhalt, die
Kameradschaft und die Intensität des
Zusammenlebens bei Einsätzen und
Übungsdiensten. „Im Grunde ist man eine
große Familie“, beschreibt er das Gefühl
für seine Feuerwehr.
Aufklärungsbedarf sieht er bei seinen tür-
kischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Sie würden aus der Türkei nur die Berufs-
feuerwehr kennen und meist nicht wissen,
dass hier hauptsächlich Freiwillige die Feu-
erwehr stellen. Da sie das System der Frei-
willigen Feuerwehr nicht kennen, ist es
ihnen zunächst fremd. Viele würden zudem
glauben, dies sei eine Organisation, in der
nur Deutsche dabei sein können.
Dabei ist er sich sicher, dass türkischstäm-
mige Mitbürger nicht nur bei Festen und
Veranstaltungen durch ihre leckere türki-
sche Küche bereichern könnten, sie leiste-
ten auch bei Einsätzen durch ihre Sprach-
kenntnisse und ihr Verständnis für eine
andere Kultur wichtige Unterstützung und
könnten vermitteln. „Die Feuerwehr ande-
rerseits kann den Menschen mit Migra
tionshintergrund das Gefühl geben, dass
auch sie dazugehören und es ein „Wir“ gibt,
das ist ein ganz wichtiges Signal“, sagt
Caliskan.
Aber wie kannman dieseMenschen gewin-
nen? Engin Caliskan: „Erst einmal sollte
man ehrlich sein – also man muss diese
Leute wollen“. Wenn sich eine Feuerwehr
entscheide, tatsächlichMenschenmit Mig-
rationshintergrund in ihre Reihen aufneh-
men zu wollen, dann soll man jemanden
beauftragen, der mit den entsprechenden
örtlichen Vereinen und Verbänden Kontakt
aufnimmt. Es solle zumBeispiel zur Jahres-
hauptversammlung oder auch zum Tag der
offenen Tür eingeladen werden – und nicht
nur mit einem Plakat, sondern durch per-
sönliche Ansprache. Im Gemeindeblatt
oder der Homepage könnten gezielt Fragen
beantwortet werden. „Es darf ruhig offensiv
geschrieben werden, dass auch ausländi-
sche Mitbürgerinnen und Mitbürger oder
solchemit Migrationshintergrundwillkom-
men sind und sie zum Beispiel zu einer
Übung eingeladen werden, denn viele wis-
sen wirklich nicht, dass die Feuerwehr für
sie offen ist“, bekräftigt Engin Caliskan.
Caliskan jedenfalls fühlt sich rundumwohl
bei seinen Niestetaler Kameradinnen und
Kameraden. Er wirbt offensiv für eine bun-
tere Feuerwehr und investiert hier gerne
und viel Zeit, auch wenn er meint „Beruf
geht halt vor, denn hier verdient man ja sein
Geld“. Auch sei es nicht immer leicht, die
Balance zwischen Beruf, Familie und Feu-
erwehr zu halten. „Aber ich habe das nun
so viele Jahre geschafftund esmacht einen
Heidenspaß – das klappt auch die nächsten
25 Jahre“, meint er lachend.
Text: HMdIS
Fotos: Feuerwehr Niestetal