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Florian Hessen_03_12

Hessische Feuerwehr-Oldtimer Freiwillige Feuerwehr Schwalbach am Taunus „Lottchen“ schiebt seit 67 Jahren Dienst! n Schwalbach Heute strahlt die betagte Dame – die die Einsatzabteilung nur liebevoll „Lottchen“ nennt im markanten Feuerwehrrot. Doch das war nicht immer so. „Lottchen“ trat ihren Dienst als schweres Löschgruppenfahrzeug (SLG) Das Lottchen mit angehängter Lafette und TS „Siegerin“. mitten im zweiten Weltkrieg an. Und so trug sie 1944 zunächst Wüstentarnfarbe mit zwei gekreuzten Palmen auf den Kotflügeln, die Lackierung des Deutschen Afrikakorps. Selbst Gewehrhalter waren noch montiert. Da der Krieg in Nordafrika jedoch längst verloren war, musste sie nicht in die Wüste sondern durfte nach Schwalbach. Um ein Haar wäre das jedoch noch schief gegangen. Am 26. Mai 1944 kam es, so die Überlieferung, zum Showdown am Eschborner Bahnhof. Dorthin waren Schwalbachs Feuerwehrchef Leonard Steiner, gemeinsam mit seinem Enkel geradelt, um die Lieferung der „Bahnfracht“ planmäßig entgegen zu nehmen. Allerdings hatte auch der Kommandant der FF Eschborn, der gleichzeitig Feuerwehrchef im Kreis war, ein Auge auf „Lottchen“ geworfen und versuchte nun das mit seltenem Doppelkühler ausgestattete SLG, für sich zu beanspruchen. Während des Streits sollen so derbe Worte gefallen sein, dass Opa Steiner den kleinen Jürgen ins schallgeschützte Fahrerhaus verbannte. Letztlich setzte sich Leonard Steiner durch und „Lottchen“ kam nach Schwalbach. Hier steht sie, trotz überschrittenem Rentenalter, bis zum heutigen Tag (bedingt)einsatzbereit im Feuerwehrhaus. Dass es sich bei „Lottchen“ um ein „Kriegsprodukt“ handelt, sieht der aufmerksame Beobachter erst auf den zweiten Blick: Das von den Firmen Mercedes – Benz (Fahrgestell), Opel (Motor und Getriebe) und Magirus (Pumpe und feuerwehrtechnischer Aufbau) gebaute Fahrzeug ist, bis auf die unvermeidlich aus Stahl bestehenden Komponenten, fast komplett aus Holz und Faserplatten gefertigt. Neben dem Doppelkühler verfügt das SLG noch über eine weitere Besonderheit: um einen lang andauernden Einsatz, ohne Temperaturprobleme zu bewältigen, ist die Pumpe an den Kühlkreislauf des Motors angeschlossen und kann mit dem Löschwasser zur Motorkühlung beitragen. Vor langen Überlandfahrten und besonders in der kalten Jahreszeit wässerten die Kameraden den Holzaufbau immer ausgiebig, damit sich durch die feuchten, aufquellenden Holzplatten die Spaltmaße verringerten und weniger kalte Zugluft in die ungeheizte Mannschaftskabine drang. Für den Winter gab es sogar eine 30x20 cm große, elektrisch beheizte, Zusatzscheibe, die an der Windschutzscheibe montiert wenigstens dem Fahrer ein Während der Renovierungsarbeiten. kleines Sichtfenster garantierte. Aber nicht nur beschlagene Scheiben und Zugluft machten es der Mannschaft schwer, auch das Fahren ist für heutige Verhältnisse eine besondere Kunst. Ein unsynchronisiertes Getriebe, das Lenkungsspiel von fast einer handbreit und die über Seilzug (oft mit beiden Füßen!) zu betätigenden Trommelbremsen stellen eine besondere Herausforderung dar, die der seidenweiche Lauf des 3,6 Liter, 6 Zylinder Benziners aus dem Opel Admiral nur unbefriedigend kompensiert. Im Jahre 1985 reifte die Idee, das „Oldtimer-Lottchen“ gründlich zu restaurieren. Rechtzeitig zum 100 jährigen Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr Schwalbach 1987 waren, dank vieler schweißtreibender Arbeitsstunden, alle Schäden behoben. Wahrscheinlich ist „Lottchen“ das letzte SLG auf Opel Blitz 3,5 t, das auch nach 67 Jahren noch im Originalzustand in einem Deutschen Feuerwehrhaus steht. Text: Rüdiger Böss & Jörg Janata Foto: Freiwillige Feuerwehr Schwalbach am Taunus 20 FLORIAN HESSEN 03/2012


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